ZERRISSENE SEITEN
Es war später Vormittag und Gioppino verließ sein Häuschen, das in einen Felsblock eingefügt war, mit ganz vielen Fensterchen, wie die eines Schlosses. Und der Hahn hüpfte mit seinen kräftigen Beinen stolz auf die Mauer und hielt sich für einen Falken, mal krähte er morgens, mal krähte er nicht, und auch die Henne war da, und weil sie so klein war wie ein Küken, hatte sie sich geweigert Eier zu legen. Auch, weil der Hahn sie sowieso verspeiste, und die Henne in seiner Willkür in den Kopf pickte. Außerdem waren da die sieben Frösche, die in einem Bottich saßen und es endlich geschafft hatten, eine Kaulquappe großzuziehen. Eine ganz kleine! So klein!
Die Sonne schlief noch, sie hatte sich beim Aufgehen verspätet.
Die Luft war frisch und in den Feigenbäumen schnäbelten die Amseln.
Und um das Land sauber zu halten gab es einen sabbernden Zwerg namens Menio, der eigens dafür aus dem Dorf Orciasi gekommen war. Geboren und aufgewachsen war er in einem Märchenbuch eines Autors, der ein bisschen verrückt ist.
Menio war sehr befreundet mit Gioppino, auch wenn er ihn einst, als er ihn noch nicht kannte, hatte einsperren lassen, nachdem er den Esel Flò der Königin zurückgegeben hatte. Und Cioppino aus dem Dorf Porcospino, der Onkel von Gioppino, war geflohen. Dann entdeckte man, dass der Esel Flò gar nicht der Königin gehörte. Eine sehr komplizierte Angelegenheit.
Tatsache war, dass Menio und Gioppino früher in zwei unterschiedlichen dicken Märchenbüchern lebten, die eines auf dem anderen auf einem kleinen, rustikalen Holztischchen lagen, das in einer großen Küche in der Ecke stand, und, dass dann ein kleines Kind, dem der Rotz aus der Nase lief, und das weinte, weil das Kindermädchen ihm keine Schokolade geben wollte, aus Trotz begonnen hatte, den Spielsachen, die im Hause waren, Fußtritte zu verpassen, und es hatte ein Glas zerbrochen, und dann hatte es sich die Bücher gegriffen, und mit den Händchen, die ganz und gar aus Nerven bestanden, hatte es begonnen, die Seiten herauszureißen, und diese hatte es dann in kleine Schnipselchen zerfetzt! Und dabei ein Durcheinander veranstaltet!
Das Kindermädchen war mit fliegenden Beinen gerannt, und, nachdem sie ihm die Nase geputzt hatte, und das Kind mit ganz viel Schokolade zufrieden gestellt hatte, hatte sie so gut wie möglich, mit heiliger Geduld und ganz viel Klebstoff und Klebeband, die vielen Schnipselchen wieder vereint … Und in dieser Anhäufung zerrissenen Papiers begann sie von Kopf bis Fuß zu schwitzen. Einer der beiden Einbanddeckel eines Buches war verschwunden. Das Kindermädchen wusste aber nichts von seiner Existenz, und, ohne es zu erkennen, dachte sie, dass das Ganze nur ein einziges Buch sei!
Und die halben, zerrissenen Seiten wurden so … per Zufall wieder zusammengefügt … Um eine ganze Seite daraus zu machen. Und jedes Blatt hatte sie schön zusammengestellt aus einer halben Seite aus dem einem Buch und einer halben aus dem anderen … und jede halbe Seite war zusammengesetzt worden aus kleineren und ein bisschen größeren Papierschnipseln … hier ein Schnipsel von einer Seite, da ein Schnipsel von einer anderen Seite, nachdem diese bereits ihrerseits aus zehn und dreissig noch winzigeren Papierschnipselchen zusammengesetzt worden waren, die wundersam zusammenpassten!
Und ein Schnipselchen, das ein „Fü“ trug wurde an eines angeklebt, das ein „chsin Schiel“ trug, und noch an ein anderes auf dem „auge“ stand. Und dabei war die ‚Füchsin Schielauge‘ herausgekommen, und Punkte und Kommas und Strichlein und Namen und Zahlen, alles eine Mischung! Und das Ganze hatte sich in ein einziges Buch verwandelt, und in viele, viele Märchen. So waren auf einmal viele Persönlichkeiten mit komischen und extravaganten Namen aufgetaucht. Die Füchsin Schielauge, der Wolf Räubergesell, die Gans Quackquack, die Fliege mit den langen Haaren, das dumme Krokodil Othello … dann … viermal acht achtundvierzig und dreimal drei dreiunddreißig und die Farbe Grün ist männlich und die Farbe Rot ist weiblich … und die grüne Farbe heiratet die rote Farbe und es kommen die Grünroten dabei heraus!
Aber … wirklich seltsam, so wie die Blätter angeordnet waren, wirklich durch Zufall, ergab wunderbarerweise alles einen Sinn. Geheimnis der Kunst!
Und auf einer der vielen wieder zusammengesetzten Seiten hatte sich Gioppino, ohne es zu wollen, im Gespräch mit Menio, dem sabbernden Zwerg wiedergefunden, und sie hatten Freundschaft geschlossen und sie hatten sich dies und jenes erzählt! „…… ….. ….“
Gioppino, sie wollten mich im Krieg nicht dabei haben! –
Auch mich nicht. Sie wollten mich nicht haben im Krieg! Wie schön! Besser zwei lebendige Zwerge als zwei tote Kolosse! –
Warum machen sie Krieg? –
Weil die Mächtigen die Dinge untereinander ausmachen und die Zwei wird zur Drei und die Drei wird zur Fünf und dann befehlen sie der Drei und der Fünf, dass sie zusammen die Fünfunddreißig machen sollen und sie schicken die Soldaten in die Schlacht! –
Gioppino, wird der Krieg je aufhören zu existieren? –
Das ist eine Frage für zweihundertsechsunddreißigtausend Weinfässer. Alles ist im Sinne der Mächtigen. –
Gioppino, aber wie sind sie, die Mächtigen? –
Sie haben zwei Arme und zwei Beine! –
Aber haben sie ein Gehirn? –
Ja, Menio! –
Wirklich? –
Ja. Alle. Das Huhn hat ein Gehirn, das ihm befiehlt, Eier zu legen, hierhin und dorthin. Aber die Hühner machen keinen Krieg! –
Aber … Ja, das ist wahr, aber jene anderen benutzen es, um Krieg zu machen! Das Gehirn. –
Aber … sterben sie, die Mächtigen? –
Ja. –
Wenn sie Krieg machen? –
Mit Sicherheit sterben sie! Aber im Krieg nur manchmal, nicht immer. –
Sie wollten mich nicht haben im Krieg! Dann hat mich die Königin geholt, um in ihrem Schloss zu wohnen … … –
Aber heute waren Menio und Gioppino dort zusammen, zwischen so viel Land und so viel Meer! Und … und sie wollten sich erinnern …
Erinnerst du dich daran, dass ich dich gefangen nehmen ließ? Und dass sie der Königin den Esel gestohlen hatten? Eh, Gioppino? Und du weintest, du weintest und fragtest mit nassem Gesicht, über und über voller dicker Tränen, die Wachen nach einem Taschentuch! Erinnerst du dich? Eine verworrene Angelegenheit … Dann entdeckten wir, dass es der Räuber Elviro gewesen war, der den Esel gestohlen hatte … seine Bande … den Esel Flò … –
Ja. Wie könnte ich mich nicht an den Esel Flò erinnern! Bring mich ein wenig zum Lachen, erzähl ein bisschen! Genau wie es gewesen ist! –
Warte, ich lege die Harke beiseite, ich setze mich in den Schatten und erzähle. Na also. Ich verstelle die Stimme und erwecke sie dir wieder zum Leben, so als ob sie alle hier wären … die Personen: Cioppino, der Esel Flò, die Wache, die Königin. Ich erzähle dir nur die letzten Ereignisse, weil ich dann hacken muss. Aber befiehl deinem Hahn hinterher, mir eine Korbflasche Wein zu bringen. Weißen aber. Ich beginne:
„Iaaah, iaaah, iaaah!“ , machte der Esel Flò und zeigte seine gelbe Zunge.
„Was hast du, Flò? Was ist los mir dir? Du kannst doch nicht müde sein! Du bist doch erst vor kaum einer Viertelstunde aus dem Stall gekommen! Direkt aus dem Stall. Und … warum hast du so eine gelbe Zunge? Eh, Flò?“
„Iaaah, iaaah, iaaah!“ , machte Flò wieder.
„Beruhige dich, sei brav! Jetzt erleichtere ich dir den Rücken, siehst du, ich bin auf der Erde. Mach keinen Unsinn! Los, gib deiner Zunge ihre natürliche Farbe wieder. Hast du zufällig gelbe Pfirsiche gegessen?“
„Iaaah, iaaah!“ Und der Esel Flò sackte auf der Erde zusammen.
„Flò, sag ‚iaaah‘! Sag, was mit dir los ist!? Los, sag ‚iaaah‘, ich bitte dich! Oh Gott, oh Gott, er sagt nicht mehr ‚iaaah‘. Vielleicht ist er tot … Nein, er bewegt sich. Die Beine.“
„Das ist der Esel der Königin! Er war im Schlosshof angebunden! Gib mir den Esel wieder oder ich rufe die Wachen“ , rief ich aus, ich, während ich mit meinen Händchen in der Luft herumfuchtelte.
„Still! Flò iaaaht nicht mehr.“
„Das ist der Esel der Königin!“
„Aber nein … Genug davon! Ich besitze ihn seit drei Jahren, diesen Esel! Heute Morgen, eben gerade, habe ich ihn aus meinem Stall geholt.“
„Unmöglich! Vor einer Minute war er noch an der Mauer des Schlosshofes festgebunden. Mit diesem Esel treibt man keine Scherze, er gehört der Königin! Sie ist die Gemahlin des Königs Formisino, der sich gerade in einer Schlacht gegen die Misiner befindet“, stammelte ich und hüpfte dabei auf und ab wie ein Page.
„Ich besitze ihn seit drei Jahren, diesen Esel! … Oh Gott, oh Gott! Flò versucht aufzustehen!“
„Warte!“ Und ich setzte mich auf einen Hocker und mit meinen kleinen Händchen öffnete ich das Maul des Esels. „Er hat eine gelbe Zunge! Im ganzen Königreich hat nur der Esel der Königin eine gelbe Zunge. Verstehst du? Du hast ihn gestohlen. Ich gehe die Wachen rufen!“, rief ich aus.
„Seine Zunge sieht so aus, weil er gelbe Pfirsiche gegessen hat. Verstehst du denn nicht?“
Und der Esel Flò sackte wieder auf der Erde zusammen.
„Cioppino, Cioppino! Was ist dem Esel Flò zugestoßen? Ich sehe, dass er schlaff und ohnmächtig auf dem Boden liegt!“, schrie Gioppino, der Enkel von Cioppino, während er einen Eimer herumschlenkerte, der über und über mit gelber Lackfarbe bespritzt war.
„Flò hat eine gelbe Zunge im Maul! Und er macht nicht mehr ‚iah‘!“
„Wachen! Da sind sie! Nehmt sie fest, sie haben der Königin den Esel gestohlen!“
„Flò hat die gelbe Lackfarbe getrunken, deshalb hat er eine gelbe Zunge! Er stirbt, begreift ihr nicht! Wachen, ich schwöre euch, ich sage die Wahrheit! Haltet ein, bitte!“
„Lügen! Wachen, nehmt sie fest, sie sind Diebe! Wir werden sie dem Dunkel des Gefängnisses überantworten!“
„Dem Dunkel des Gefängnisses? Oh Gott, Flò, dann fliehe ich! Bleib du dort auf der Erde liegen. Stirb nicht! Versuche, dir die Zunge mit den Hufen zu reinigen. Kratze mit den Hufen daran!“
„Wohin fliehst du, Cioppino? Bleib hier, wir haben nichts getan!“
„Ich fliehe, ich habe Angst, mit den Wachen zu verhandeln!!“
Gioppino lachte so sehr, dass er die Beine zusammenzwicken musste um sich nicht in die Hose zu machen. Er war wie ein Kind. Dann bekam Menio Durst und er bat den Hahn, ihm die Korbflasche mit dem Wein zu bringen.
Weil Menio es sich im Gras bequem machte um zu trinken, wurde er dann doch nicht fertig damit, die Erde zu hacken, und, während er ihm mit den Augen folgte, die genau wie Murmeln herumrollten, flatterte der Hahn auf die Mauer; und dann die Müdigkeit vom Wein und die starke Sonne … Menios Augen verwandelten den Hahn in einen Löwen und der wurde umrahmt von vielen Schmetterlingen und zwei Hornissen und am Himmel waren drei Adler.
Und dann finden wir Cioppino und Gioppino und Menio und den Esel Flò, alle zusammen finden wir sie wieder im Weinkeller des Dorfes Porcospino, wo sie über komplizierte Dinge nachdenken, die diesem und jenem widerfahren waren, und auch darüber, wie Guccio die Ziege rot angemalt hatte.
Und … Und die anderen Personen?
Die leben in anderen Märchen!
Und das Kindermädchen? Ist es noch dort und streitet mit dem Kind, das immerzu nur Schokolade will?
Das Kind?
Das ist ein schlaues Köpfchen und vielleicht, vielleicht mache ich es, so wie es ist, ganz zu Schokolade und wenn es in einem Märchen vorkommt, dann vertraue ich es zuerst einer Hexe an und dann einer Fee und einer Zikade!
Und …
Und Punkt und Schluss! Bohnen mit Nudeln, die Nudeln die esse ich und die Bohnen die gebe ich der Katze und wenn sie die Katze nicht isst, bekommt sie eine Fratze! Und dreihundertvier, die Wachtel singt mit mir. Und ich singe und du singst und dann singen der Hahn und die Henne und alle zusammen die ich kenne, sie machen kuckuck kuckuck kuckuck und der Zug bleibt stehen und macht nicht mehr den kleinsten Ruck!