GUCCIO UND CIOPPINO UND DER ESEL FLÒ
Sabatino. Sabatino summte vor sich hin: – Der Glöckner Bruder Martin läutet die Glocke ding dang dong. Ding dang dong … – Dann schrieb er eine weitere, lange, lateinische Regel auf Lateinisch und fühlte sich wie ein Pünktchen, zwischen den großen, schwarzen Massivholzbänken.
Seit er ganz klein und die Welt schön gewesen war, wollte Sabatino immer Glöckner werden. Aber die Glocken erschreckten ihn, weil sie ihm oben in den Glockentürmen riesig erschienen, und er dachte: – Wer weiß, ob es mir gelingen wird, sie zum Klingen zu bringen. – Und er sah sich von den Seilen auf den Glockenturm hinaufgezogen, mit ausgebreiteten Armen und Beinen im Leeren.
Die Lehrerin von Sabatino war schön und außerdem sang sie ihm vor: „Giro giro tondo com’è bello il mondo! Centocinquanta la gallina canta …“ Und jetzt hatte er den Füllfederhalter in der Hand und wollte sich nicht weiter diese hässlichen, lateinischen Regeln auf Lateinisch diktieren lassen. Er wollte seine Lehrerin wiederhaben, die ihn unter dem Kinn streichelte und zu ihm sagte: „Orsù, orsù!“*, und außerdem … außerdem war es auf diese Weise geschehen, dass Sabatino Jesus „Gesù“ kennen gelernt hatte.
Pater Cuomo diktierte der ganzen Klasse die Regeln und er war schon sehr alt und wer weiß, ob er sich an die Melodie erinnerte: „Der Glöckner Bruder Martin läutet die Glocke ding dang dong!“
Wer weiß, ob sich Pater Cuomo wohl erinnert, „Der Glöckner Bruder Martin läutet die Glocke, ding dang dong! … Giro giro tondo com’è bello il mondo …“, und ob auch ihn die Lehrerin unter dem Kinn streichelte und ihm Mut machte und ob auch er, wenn er „orsù, orsù“ hörte, an Jesus denken musste? -, dachte Sabatino. – Und wer weiß, weshalb er nicht Glöckner geworden ist, Pater Cuomo! Vielleicht hatte auch er Angst vor den Glocken? Und auch er sah sich von den Seilen auf den Glockenturm hinaufgezogen, mit ausgebreiteten Armen und Beinen im Leeren? –
Und von Traurigkeit erfasst, begann Sabatino, einen Esel ins Heft zu zeichnen, der mit einem Strohhalm Pepsi Cola aus der langhalsigen Flasche trank; dann blinzelte er, mit vom Schulterror verdüsterten Augen, zu dem kleinen Hafenbecken hinüber, das sich hinter dem kleinen Brücklein verbarg, zu dem kleinen Hafenviertel von Pozzuoli, zu den Booten, und ein Boot hieß Flò.
Und Sabatino schrieb unter den gezeichneten Esel, der mit dem Strohhalm Pepsi Cola schlürfte: „Ich will der Esel Flò sein! Und nieder mit dem Latein!“
Und Sabatino lachte still eine ganze Minute lang vor sich hin.
Pater Cuomo bemerkte, dass er vor sich hin kicherte, mit dem Füller im Mund, und mit Schrittchen, so langsam wie eine Schnecke, lief er los, in dem Raum zwischen einer Schulbank und der anderen, und rief:
Schreibst du die Lateinregeln auf? –
Sabatino zitterte und machte das Heft zu und sein Herz begann mit hundertzwanzig Schlägen in der Minute zu rasen. Und der kalte Schweiß überschwemmte ihn kaskadenartig und so wurde er zu einer Prise Salz.
Lass mal das Heft sehen? Ah! Tüchtig, tüchtig … du fängst früh an … –
Pater Cuomo war ernst wie ein Soldat, die anderen Schüler drehten sich ruckartig um und bombardierten ihn mit Blicken. Er spürte, wie ihre Augen ihn kitzelten.
Tüchtig, tüchtig … Wissen es deine Eltern, dass du der Esel Flò sein willst? Flò. Ich werde sie rufen lassen und dann werde ich es ihnen sagen … So werden sie dich in einen Stall bringen, zusammen mit anderen Eseln. Somit werden sie nichts bezahlen! Deine Eltern haben dich ins Internat gebracht, damit du lernen sollst! Sie zahlen eine Menge, deine Eltern, damit du hier sein kannst, weißt du das? In Sankt Paulus. Und merke dir … – , sagte er mit halb erhobenem Finger, – memini! Effrenate parve puer, Esel bist du und Esel wirst du bleiben … saeculum saecolorum … –
Pater Cuomo riss das Blatt mit dem Esel Flò darauf nicht aus dem Heft heraus und dann kratzte er sich mit der Hand an der Kutte und ging davon.
Der Glöckner Sabatino läutet die Glocken ding dang dong … , läutet die Glocken ding dang dong … Kopf hoch, gib einen Kuss wem du willst, gib einen Kuss wem du willst!
Der Zwerg Cioppino schlief die ganze Nacht nicht.
In einem Weinkeller des Dorfes Porcospino, während dem einen und dem anderen Glas Wein, hatten am Abend vor diesem Morgen Cioppino und andere Bauern, und außerdem war da auch noch der sabbernde Zwerg Nenio, begonnen, ernsthaft darüber nachzudenken, warum eine Menschenrasse die so aussah, hier entstanden war, und eine andere Menschenrasse, die soundso aussah, dort entstanden war.
Mit etwas flachem Gesicht und Mandelaugen kommen sie dort zur Welt und … und jene anderen, die Hellblonden, mit der Haut, weiß wie Frischkäse, sie sind da geboren und sie sind groß, groß wie die Pinie da hinten … Da hiiinten! Und klein, klein wie ein Cello, sind sie im Dorf Trabello.
Die Diskussion war entstanden, weil man in einer Straße des Dorfes Porcospino, gerade dort wo sich der kleine Bauernhof von Cioppino befand, drei Abende zuvor eine rote Ziege hatte entlang trippeln gesehen.
Man hatte aber in Erfahrung gebracht, dass Guccio, der Sohn des Schreibwarenhändlers, der vor Zeiten von zu Hause ausgerissen war um mit einer Freundin im Schlaraffenland zu leben, aus dem Geschäft seines Vaters die Farben herausgeholt hatte, die hätten verkauft werden sollen, aber nie verkauft worden waren, und er hatte begonnen, die Ziege des Großvaters rot anzumalen. Und er hatte sie sehr, sehr rot angemalt, so gut, dass man meinen konnte, sie wäre wirklich rot auf die Welt gekommen. Von dort war die Diskussion ausgegangen …
So und so beschaffen und da und dort geboren!? – , murmelte entschieden Cioppino, mit dem Kopf in das Kissen versunken, welches aus Maisblättern gemacht war.
Warum wurde König Formisino als König Formisino geboren und regierte das Dorf Porcospino? – , plapperte Elektra, die Schwester von Cioppino, die mit dem Bruder im selben schönen Bett schlief.
Nein! Was hat der König Formisino damit zu tun? Der König Formisino mit den Rassen … Du hast nichts begriffen … Du redest ins Blaue hinein! Du überlegst nicht! Iss lieber Klebstoff! Kleeebstoff … Damit du den Mund hältst! –
Vielleicht, vielleicht wird dieses Geheimnis …
Und Cioppino stand früh morgens vom Bett auf und zog sich an und wusch sich und holte den Esel Flò aus dem Stall heraus und ritt mit ihm fort.
Wo gehen wir hin? – , sagte iahend der Esel Flò, der noch vom Schlaf verklebte Augen hatte.
Zu Guccio, weil ich ihn fragen will, warum er die Ziege angemalt hat, und warum ausgerechnet feuerrot. –
Weil er doof ist! – , antwortete der Esel Flò.
Mag sein. Aber die Medizin, die ich dir gebe, damit du nicht stirbst, hat man auch aus Schimmelpilzen gemacht! Unter den hässlichsten Dingen kommt oft, wenn du ein wenig kratzt, etwas Gutes heraus; deshalb, wenn Guccio die Ziege rot gemacht hat, kratze, kratze … was kommt dabei hervor? –
Und auf der Piazza, unter einem sehr grünen Baum, da war Guccio. Mit kohlschwarzen Ringen unter den Augen, von den Schlägen, die er bezogen hatte, saß er auf der Rückenlehne einer Bank.
Guccio! Was tust du hier am frühen Morgen? Auf der Rückenlehne der Bank sitzend? –
Ich tue was ich tun muss – , antwortete Guccio, ganz fertig vor Ärger.
Oh Gott, wie haben sie dich denn zugerichtet! Wo ist die knallrote Ziege? –, fragte ihn Cioppino.
Sie haben sie gewaschen! Sie haben sie gewaschen! Diese Schurken! –
Und warum hattest du sie rot gemacht? Um Prügel zu beziehen? –
Nein. Weil hier im Dorf Porcospino alles weiß ist und ich mir also dachte, da mache ich die Ziege rot! –
Guccio, aber … vielleicht … hätte die Natur sie an einem weißen Ort weiß gemacht, damit sie nicht auffällt. Das wird es sein. –
Aber die Ziege ist weiß. –
Schon! Aber es gibt auch schwarze Ziegen. –
Ja. Aber hier haben wir weiße Ziegen … Danach erst haben sie das Dorf Porcospino gebaut: So weiß, dass es deine Augen blendet! Die Natur wusste nicht … –
Iaaaah, Iaaaah -, machte der Esel Flò.
Schon, schon, das ist wahr. Still Flò! –
Ich weiß nicht recht! Ich habe sie rot gemacht! Ich sah sie rot, die Ziege, in einem Dorf, das ganz aus weißen Häusern besteht. Damit man sie bemerken sollte. Auch die Natur macht das in gewissen Fällen. Nicht immer will die Natur unauffällig sein. Außerdem gibt es die Anpassung … Die Giraffe zum Beispiel, mit ihrem endlos langen Hals, die Giraffe hat sich einen langen Hals wachsen lassen … –
Wer hat das gemacht! Den Hals der Giraffe lang? –
Sie selbst. Die Giraffe! –
Sie selbst? Früher hatte die Giraffe einen kurzen Hals? –
So sagt man. Cioppino, die Dinge sind kompliziert. –
Sehr kompliziert – , nickte Cioppino und stellte sich dabei auf die Zehenspitzen.
Die Natur schafft das Leben … dann, aus dem einen oder dem anderen Grund, ändern sich die Dinge, man hat eine andere Umgebung und die Lebewesen passen sich entweder schön langsam an, oder sie verschwinden! –
Und der Esel Flò schnaubte heftig mit den Nüstern über die Erde, wo ein kleiner Ameisenhaufen war, und er ließ die Puppen durch die Luft fliegen und Cioppino drückte seine kleinen, schwieligen Händchen gegen die Stirn, wie ein Kind.
Meine Ziege ist immer noch eine Ziege, verstehst du? Egal ob sie weiß oder rot ist! Und hier in Porcospino sehe ich die Ziegen rot. Als die Natur die Ziegen verteilte, hat sie sie auf der Grundlage der Farben verteilt, des Lichtes … der Welt. Das schneeweiße Dorf Porcospino … gab es da noch nicht! Die Natur hört uns zu, manchmal spricht sie zu uns, ganz langsam wechselt sie die Knöpfe an ihrem Kleid. –
Aber … darin liegt der Anfang … Du sagst Dinge, die eines Professors würdig sind, Guccio. Da habe ich die Fäden des Betrugs in der Hand! Des wahren Betrugs. –
Und der Esel Flò lachte und iahte wie ein Dummkopf.
Und Cioppino dachte nach und dachte nach, vier Nächte lang und drei Vormittage, und er grub keine zwei Frösche aus hundert Löchern aus, aber eine Fliege mit gebrochenen Beinen.
Und dann verzichtete er darauf, weil die Sache schwierig zu begreifen war …
Und es trug sich zu, dass eine Tante von Cioppino starb, und weil sie keine Kinder gehabt hatte, hinterließ sie ihm und seiner Schwester alles was sie hatte: Drei Stück Ackerland.
Die drei Äcker befanden sich jeweils in der Nähe dreier verschiedener Dörfer. Und Cioppino konnte nachts nicht mehr schlafen, weil er das Land hier und dort zu bestellen hatte.
Wann hat mir Tante Partorina das Land gegeben, damit ich es bearbeite? Ausgerechnet jetzt, wo ich alt geworden bin und bald sterbe! -, sagte er mit zeternder Stimme zu seiner Schwester Elektra.
Keife nicht herum! Verkaufe es! –
Ich verkaufe es nicht! Keife du nicht! –
Und er begab sich mit dem Esel Flò zu einem der drei Äcker, beim Dorf der Karotten, um tatsächlich Karotten zu sähen.
Er band den Esel an einem schattigen Plätzchen an einer Kartoffelpflanze an, und mit dem Sack voller Samen auf dem Rücken, stapfte er auf dem Feldweg los.
Ein winziges Mäuschen huschte ihm über die Schuhe und dann lief es davon. Eine Zikade sah ihn an und murmelte einer kleinen Ameise alles zu, was ihr gerade in den Sinn kam.
Eine riesige Hornisse kreiste einige Male brummend um ihn herum und wollte ihm in den Kragen hineinschlüpfen, bei einem Loch, das er im Unterhemd hatte, und Cioppino erschrak, und als er die Händchen hob, um sie zu vertreiben, rutschte er weg und fiel in einer Drehbewegung hin, wobei er sich in den Dornenhecken verhedderte. Er bekam überall am Körper Blasen von den Brennnesseln und die Karottensamen kamen haufenweise aus dem Sack heraus und verteilten sich auf der Erde.
Cioppino war todmüde, zumal er an diesem Tag schon am frühen Morgen losgegangen war um die Birn- und Mandelbäume im Dorf Porcino und im Dorf Biancospino zurückzuschneiden.
In seinem Bauch rumorte es, weil er den ganzen Tag über nur ein bisschen Brot, eine Tomate, eine Zwiebel und drei Tropfen Wein bekommen hatte.
Fix und fertig und ärgerlich ließ er den Sack mit den Karottensamen auf der Erde liegen und er setzte sich unter eine dichte, grasgrüne Hecke.
Im Dorf der Karotten gibt mir die Erde nur Karotten und wenig anderes, im Dorf Porcino gibt mir die Erde nur Äpfel und wenig anderes und im Dorf Biancospino gibt mir die Erde nur Mandeln und ich muss neue Werkzeuge kaufen … Und sieh mal: Ich habe vier Äcker in vier verschiedenen Dörfern und muss überall etwas anderes aussäen! Donnerwetter, Tante Partorina! Jetzt, wo ich alt bin! Schon, schon, hier ist die Erde so beschaffen, dort ist sie anders … Es wäre schön, wenn all das Land, das ich habe, mir nur Äpfel geben würde! Äpfel sind teuer auf dem Markt von Flappoli! – , rief er aus.
Und dann schlief er ein.
Er hatte sich zusammengerollt wie ein Kind. Er schnarchte dreimal.
Wo mag nur der Esel Flò hingegangen sein? Ah, dort ist er. Angebunden an der Kartoffelpflanze. Die Natur kann alles und … Feuchter Boden … kalkreicher … stickstoffhaltiger Boden, ammoniak- und nitrathaltig … Das Pferd und der Affe und die Eule … und der Hund und die Katze und die Maus … Es ist schön so! …Vier Stück Land, hier und dort. Das Pferd und der Affe und die Eule …
Oh Mutter Gottes! Der Esel Flò hat sich auf dem Land verirrt, er hat sich losgemacht, weil er die Kartoffelpflanze aufgegessen hat.
Elende Schweinerei! Wie konnte er nur die Kartoffel essen? Der Esel Flò hat noch nie Kartoffelpflanzen gegessen! Wo mag er nur hingegangen sei? Der Dummkopf hat sich befreit! –
Und: – Such hier und such dort und bleib hier stehen und bleib dort stehen und lauf und lauf ! -, die ganze Nacht hindurch… Cioppino gelang es nicht, den Esel Flò zu finden. Und er sah hohe braune Berge und dann niedrige Berge mit Schnee darauf und mit vereinzelten Bäumen, dann einen Bären, der einen Bienenstock zerstörte und den Honig daraus verzehrte und sich mit den Pfoten auf die Brust schlug, und dann einen Wolf und ein Krokodil namens Othello, das gemütlich Äpfel knabberte, die auf einem Schemel lagen, im Dorf Trabello.
Und da tritt aus einem kahlen Gebüsch die Natur hervor, eingehüllt in einen gelbgrünen Mantel.
Suchst du den Esel Flò? – , murmelte sie.
Oh Gott, oh Gott! Wer bist du? –
Die Natur! Der Esel Flò ist losgegangen, sich eine Eselin zu suchen, weißt du? Der Esel Flò weiß, seit er geboren ist, und das sind neun Jahre her, nicht wie eine Eselin geschaffen ist! Er weiß nur, dass die Eselin einen Schwanz wie ein Handfeger hat! Er muss säen, der Esel Flò. Verstanden? Die Esel verschwinden langsam vom Antlitz der Erde! Verstanden? –
Cioppino zitterten die Ohren.
Sie… wirklich die Natur? –
Ja. Guten Abend. Willst du noch Fragen stellen … so und so gemacht und wie und wo geboren… ? Vielleicht? Ja? –
Aahh! Wie gemacht und was und wo geboren! Ja, ja! –
Die Natur macht ein wenig dasselbe wie der Bauer … Alle lebenden Arten habe wirklich ich ausgesät, weißt du das? –
Wie … wie? Auch den Esel Flò? Ja? Wirklich? –
Die Natur nickte.
Also erzähle, erzähle! –
Ja. Den Ururgroßvater des Ururgroßvaters des Esels Flò, den habe ich gesät, und dann und dann … haben sie alles selber gemacht, die Esel! –
Und Guccio? –
Den Ururgroßvater des Ururgroßvaters, ja, das war ich. –
Und bei mir? –
Auch ich! Bei allen lebenden Wesen. Mit ganz vielen Säcken voller Samen. Ganz, ganz, ganz viele Säcke und viele Samen für jede Art. Wie es der Bauer macht. Diese Samen für diesen Boden … andere Samen für andere Böden … Mandeln hier und Birnen dort … Bei den Pflanzen habe ich es so gemacht und bei den Tieren, die Menschen eingeschlossen … Genauso! –
Cioppino war noch mehr zusammengeschrumpft und während er verblüfft die Natur betrachtete, sprach er leise: – Flò lebt hier und das Kamel lebt dort. Wegen der Samen? –
Ja. In der Wüste erwachte der Samen des Kamels zum Leben. –
Aus Kamelsamen? –
Ja! Genau so! Am Anfang war es so! Dann, als ein Lebewesen herangewachsen war … zum Beispiel … Nun kann Flò … die Hufe in die Wüste setzen; für kurze Zeit, wenn er sich gut schützt in einer Hütte und … und wenn er ein bisschen hinausgehen wollte, müsste er sich eine Decke überziehen. Dort brennt die Sonne unendlich heiß. –
Aber … Aber jetzt säst du nicht mehr aus? –
Ich säte die Ururgroßväter der Ururgroßväter der Ururgroßväter … Dann, mittels der ersten Samen wuchsen die Lebewesen heran und produzierten wieder Samen … Jetzt ist meine Aufgabe beendet. Hin und wieder komme ich hierher um zu sehen, wie ihr das Aussehen der Erde verändert habt. –
Wie „das Aussehen der Erde“? –
Ja. Mit Intrigen und mit Kriegen! –
Ah, schon! Die Kriege. Schä…schän…schändlich, die Kriege! Donnerwetter: Ich bin so erschüttert, dass ich das Wort nicht herausbrachte. –
Jenes Lebewesen ist so hässlich … Jenes andere ist so nicht recht … Diese Rasse hier, jene Rasse dort … Ich dachte, dass der Mensch das perfekteste aller Lebewesen sei … Er hat die Naturgesetze auf den Kopf gestellt! Ihr habt nicht das Geringste verstanden. Ich bin die Natuuur!!! Versteht ihr? Alle Lebewesen sind schön! Schööön! Ja! Diese hier und jene dort und überall! –
Und die Natur zog eine furchterregende Grimasse und dann setzte sie sich ins grüne Gras und weinte und weinte eine ganze Weile lang. Und aus ihren Augen kamen ganz viele grüne Tränen heraus und ein Grashalm.
Cioppino hatte einen ganz starren Blick bekommen.
Der Erste erschafft, der Zweite erhält und der Dritte zerstört! `A fatica mia … Meine Arbeit, meine Mühe … –
Wie? –
Nichts, nichts. Das ist neapolitanisch. „`Sti quattro scicchignacchi dint‘ `a butteglia“*( …Was begreifen sie schon! Geh, geh, den Esel Flò suchen, er hat schon gesät. –
Und da wachte der brave Cioppino auf, schüttelte die Müdigkeit ab, indem er sich an den niedrigsten Ästen eines kleinen Pflaumenbaumes hochhangelte, gähnte dreimal und dann noch eineinhalbmal, und wie er so dastand, mit offenem Mund, halb aufgerichtet, da erblickte er den Esel Flò.
Zunächst klaubte er die Karottensamen von der Erde auf und dann ging er zu ihm hin und fragte ihn, ob er tatsächlich die Kartoffelpflanze verzehrt habe.
Ah, hast du sie aufgegessen, die Kartoffelpflanze? –
Vielleicht ja, vielleicht nein – , antwortete der Esel Flò.
Ah, du hast sie gegessen, und nicht das Stachelschwein! Dir schmeckte die Kartoffelpflanze doch nie! Vielleicht ja, vielleicht nein? Und wer wird dich je wieder an einer Kartoffelpflanze anbinden? Siehst du das hier? Das sind Karottensamen, und wenn ich sie ausgesät haben werde, und wenn sie gewachsen sein werden, dann werde ich dich an den Karotten festbinden! –
Dann kletterte er auf Flòs Rücken, wobei er sich am Zaumzeug fest hielt, welches aus ineinander verflochtenen Schnüren bestand, und brav machten sie sich auf den Heimweg.
Und so trotteten sie dahin, wie zwei betrunkene Kumpane, zuerst geradeaus, dann weniger geradeaus, auf der weißen staubigen Straße, heim zu den weißen Häusern in dem weißen Dorf Porcospino.
Eh, Flò, heute hätten wir beinahe, um ein Hennenhaar hätten wir die rote Ziege gehabt! Aber sag mir Flò, hast du wenigstens gesät? Du bist davongelaufen, weil du die Kartoffelpflanze gegessen hast und … aber hast du gesät? –
Iaaaah, iaaaaah! – , iahte der Esel Flò, – vielleicht nein vielleicht ja! –
Und ich dagegen, hier … siehst du? Ich habe ein nebulöses Durcheinander in meinem verwirrten Gehirn. Wer weiß, wer weiß, vielleicht habe ich geträumt? Kennst du das Kamel? Eh, Flò! Ich habe wirklich geträumt. Aber ob es wohl wahr ist? Ah, ah, ah! Die Natur! Es würde mir gefallen, die Natur zu sein, weißt du? … Flò! Jetzt, wenn wir im Dorf ankommen, weißt du was ich tue? Rate mal! Ich kaufe Farbe und ich mache dich grün wie das Gras, ah ah ah, und verlass dich drauf, niemand wird dich abwaschen! Und du sei still! Mache nicht iaaah! Ah, ah, ah … Alles weiß … und hellgraue Esel, fast wie das Weiß in Porcospino! Das geht wirklich nicht. Das geht nicht. –
Und der Esel Flò iahte, iahte und iahte.
Und dann………………………………………………………………………………………..
Dann gefiel sich Flò in Grün und er blieb so und es begegnete ihm ein schönes hellblaues Kind und es schloss Freundschaft mit ihm und es ritt auf ihm.
Und Guccio?
Und Guccio überlegte und überlegte und malte sich schwarz an und er gefiel sich so gut, dass er so blieb.
Und … und die Leute dort, von dem Ort?
Sie überlegten, überlegten, überlegten, und alle malten sich mit Pinseln und Lackfarben in tausend und abertausend Farbtönen an und machten das Dorf Porcospino so schön bunt wie einen Regenbogen am Himmel; dann schrieben sie an die Hauswände: „HOCH SOLLEN SIE LEBEN! GUCCIO UND CIOPPINO UND DER ESEL FLÒ!“
Und … und der Papa von Guccio? Er wurde reich. Er verkaufte die Farben kübelweise! Und vor Freude malte er die Ziege wieder rot an.
Und Elektra? Nichts zu machen. Sie wollte nicht einmal Lippenstift benutzen!
Und jeden Abend, während Cioppino mit seinem kleinen Mündchen musikalisch schnarchte, schlief sie so im großen Bett ein, mit dem weißen Nachthemd, mit der weißen Haube auf den Haaren, die jeden Tag weißer wurden, und sie träumte davon wunderbare Abenteuer zu erleben, mit dem König Formisino, am Ufer des Flusses, im Wald von Porcospino.