FUCHS RUSTIKUS UND FUCHS SILBERFELL
Eines Tages begegneten sich zwei Füchse auf einem Feldweg und sie sahen sich misstrauisch an. Und dann, wer weiß, wie sie es machten, schüttelten sie sich die Pfoten und …
Freut mich, Fuchs Rustikus. –
Sehr erfreut, Fuchs Silberfell. –
Und sie schlossen Freundschaft.
Fuchs Rustikus hatte einen schönen Sack Kartoffeln bei sich und Fuchs Silberfell trug auf dem Rücken eine große Tüte mit Papieren, voll geschriebenen Papieren und Dokumenten.
Hier nimm: eine schöne große Kartoffel! Der Bauer hat sie mir gegeben, weil ich seine vielen Hühner und sein Schaf im Schafstall beschützt habe. –
Und Fuchs Silberfell nahm die Kartoffel an und er verschlang sie mit einem Biss.
Gut, gut, diese Kartoffel, sie ist wirklich naturrein! Ist sie in der Erde gewachsen? Ich … ich meine, in der Erde oder auf den Bäumen? –
In der Erde! Die Kartoffel entwickelt sich unter der Erde, genau wie die Karotte zum Beispiel. Sie ist eine Knolle, die Kartoffel. –
Ach, du bist mit den Bauern befreundet? Ich studiere Musik, Rhythmik und Harmonie und ich schreibe sehr viele Gedichte und außerdem studiere ich mit einem Wolf, der mein Freund ist … Geschichte und Geographie und ich weiß auch, wo sich Ponza und Pantelleria befinden. Wenn du ihn siehst, wirst du sehen, was für ein Professor er ist! Er weiß alles besser als alle anderen. Vielleicht, vielleicht weiß er auch mehr als ich … Na ja, wer weiß das schon … wer weiß. Aber eines Tages wirst du ihn durch mich kennen lernen. Es wird dir nützen, du wirst sehen. –
Und Fuchs Rustikus begriff, er fühlte sich klein und errötete.
Geographie? –
Ja. Geographie, Musik, Rhythmik und Harmonie, und viele andere Fächer studiere ich … und … mit vielen Professoren, die meine Freunde sind. Fuchs Geologe, zum Beispiel, wie ist er tüchtig, er ist mein Freund und hat promoviert! Er lehrt da und dort. Stell dir vor: Er hält sogar Konferenzen … Überall! In den Wäldern von Afrika und Alaska. Fuchs Geologe ist genial! Er hat dort in Alaska entdeckt, dass das Eis schmilzt, wenn man es aufs Feuer legt. –
Und Fuchs Rustikus mit seinem Sack Kartoffeln fühlte sich wirklich unwissend und fragte mit leisem Stimmchen:
Wo gehst du denn jetzt hin? –
Wo ich jetzt hingehe?
Die Erde studieren und ich will versuchen zu sehen … zu begreifen, warum das Meerwasser salzig ist, und warum sich das Wasser in Tröpfchen teilt, und wie die Glocken in den Glockentürmen es machen, dass sie so laut klingen. Ja, ja, so viel! Gibst du mir bitte noch eine Kartoffel? –
Sicher, sicher. –
Gut, gut. Aber … aber Fleisch … Fleisch hast du keines? –
Nur Kartoffeln. Wenn ich dich vor einigen Tagen getroffen hätte, dann hätte ich dir ein wenig toten Hund gegeben. Hundefleisch ist sehr gut. Ich gehe oft an einen Ort … Eine Straße. Dort fahren viele Wagen vorbei und häufig kommen die Hunde unter die Räder und … und dann sind sie schön tot. Sie schmecken sehr gut, die toten Hunde. Und außerdem hat man eine Woche daran zu essen, an einem Hund. –
Oh ja, das ist wahr: An einem toten Hund hast du wirklich eine Woche zu essen. Äh, weißt du, ich habe keine Zeit für diese Dinge. Fast jeden Tag gebe ich Geschichts- und Geographieunterricht, und wie ich dir vorhin sagte, ich … ich weiß, wo sich Ponza und Pantelleria befinden. Und dann, und außerdem, wie geht mir das Herz auf, wenn ich Musik und Rhythmik und Harmonie studiere! Und zu begreifen wie eine Glocke klingt, die dort oben im Glockenturm hängt, und dann die Vöglein, die dort sitzen, sie fliegen fort, so als ob sie die Noten der Glocke, die sich so klar und rein in den Himmel hinauf schwingen, mit ihren Schnäbeln aufpicken wollten. Und … hast du je davon gehört, dass man von unten an einer Glocke zieht, mit einem Seil? Und … und weißt du, warum die Glocke klingt?
Sie klingt, weil innen in der Glocke drin, da schlägt ein Dings an! –
Ah, innen schlägt ein Dings an? Und … und mit dem Seil zieht man an der Glocke oder am Dings? –
An der Glocke oder am Dings? Das studiere ich ja gerade. Es ist ein Geheimnis. Bis jetzt ist es niemandem gelungen, dahinter zu kommen. Gut, ich gehe. Du hast also nur Kartoffeln? Dann los, los, gib mir noch eine Kartoffel. –
Eine? –
Sagen wir zwei, mach schon! Ich verabschiede mich von dir, Fuchs Rustikus. Und ich bitte dich, lass dich wieder mal sehen. –
Oh ja, ich schaue gerne vorbei, denn ich habe viele Dinge von dir zu lernen und hoffe, dass ich dich ein wenig toten Hund kosten lassen kann, sobald ein Wagenrad über ihn hinweg fährt. –
Oh ja, wir werden uns wieder sehen und du wirst mich sicher ein bisschen toten Hund probieren lassen; und hoffen wir, dass ein zarter Hund unter das Wagenrad kommt, damit unsere etwas kranken Zähne keine Funken sprühen. –
Und Fuchs Silberfell entfernte sich mit seiner Tüte mit Papieren und Papieren und Dokumenten und dasselbe tat auch Fuchs Rustikus mit seinem Sack Kartoffeln.
Es vergingen einige Tage und Fuchs Rustikus, der ein gezähmter Fuchs war, war immer wieder die Feldwege entlang gelaufen und hatte sehr vielen Hirten und Bauern geholfen: Am Abend brachte er die verirrten Schafe in die Schafställe zurück und tagsüber bewachte er die Felder, indem er viele Maulwürfe und Mäuschen verjagte, die an den Wurzeln der Bäume knabberten, die sonst dadurch vertrocknet wären.
Und er hatte von den Hirten ein wenig Käse bekommen und von den Bauern Äpfel und eine halbe Hühnerbrust und abends, mit dem Säcklein auf dem Rücken, kehrte er nach Hause zurück.
Und … – Fuchs Silberfell! Was machst du hier um diese Zeit? Was machst du hier im Dunkel der Nacht? – Fuchs Silberfell gestikulierte mit erhobenen Pfoten. – Und du? – … – Ich? Ich bin auf dem Heimweg zu meiner Höhle. Heute habe ich ein bisschen Käse bei den Hirten und wenige Äpfel und eine halbe Hühnerbrust bei den Bauern verdient. Aber du? Was machst du? Denkst du an das Dings und an die Glocke? Hast du es entdeckt? –
Noch nicht, Fuchs Rustikus. Ich bin hier seit heute Morgen und habe entdeckt, dass die Schmetterlinge zwei Flügel aus Stoff haben und in der Mitte der Flügel ein klein wenig Fleisch, und dass sie schöner sind als die Fliegen. –
Wie viele schöne Entdeckungen du machst, Fuchs Silberfell! –
Ja, die mache ich, die Entdeckungen. Und so viele Kollegen habe ich und alle sind sie wichtig! Sieh nur, im Gebirge! Da ist meine Freundin Schildkröte, die mit einem durchlöcherten Rohr die Sterne zählt. In ihrem Köpfchen hat sie einen Pfuhl der Wissenschaft. Sie studiert alles mehr als alle anderen, genau wie der andere Freund von mir, der Professor, der über alles mehr weiß als alle anderen. Du wirst sehen, eines Tages lernst du sie durch mich kennen. Du wirst schon sehen. –
Kennen lernen? Ja, ich will sie wirklich kennen lernen, deine Freunde, die Professoren. – Und dann fühlte sich Fuchs Rustikus ganz klein und errötete.
Aber … aber sag mir, hast du heute noch gar nicht gegessen, Fuchs Silberfell? –
Wenig, wenig, denn ich hatte keine Zeit um Nahrung zu suchen. –
Also dann nimm und iss! –
Danke! Ein wenig Hühnerbrust würde mir wirklich gut tun. Gut, gut! –
Fuchs Silberfell aß sich satt. Er aß auch Käse und zwei Äpfel. Er sprach ein bisschen über Rhythmik, Musik und Harmonie und dann, und dann beschloss er zu gehen.
Und … und Fuchs Rustikus verbrachte die ganze Nacht wach in seiner Höhle, darüber nachdenkend was die Musik und dann die Rhythmik und die Harmonie wohl sein mochten und er dachte an die Glockenstränge und an die Glocken. Und dann, ohne geschlafen zu haben, ging er zur Kirche und begann mit seinen Äuglein zum Glockenturm hinaufzuschauen und er bemerkte hoch oben das Stückchen Seil, und dann die Glocke mit dem Dings darin.
Mit dem Dings darin! -, rief er, – Mit dem Dings darin! -, rief er erneut.
Plötzlich hörte er einen lauten Klang und er sah, wie die Glocke sich bewegte und wie am Seil gezogen wurde und wie das Dings in der Glocke tanzte.
Ich habe es entdeckt, ich habe es entdeckt! Mit dem Seil zieht man an der Glocke und es ist das Dings, ein hängendes Pendel, das darin tanzend schlägt, kräftig an die Wände der Glocke schlägt! Und ich muss Fuchs Silberfell überall suchen und ich muss ihm sagen, dass ich die Entdeckung gemacht habe. –
Fuchs Rustikus begann zu rennen wie ein Verrückter, alle Feldwege entlang, und nach einer Weile, verschwitzt wie ein Schwamm, sah er Fuchs Silberfell in einem Gebüsch und rief:
Fuchs Silberfell! Fuchs Silberfell! Komm hier her! Ich habe entdeckt, dass man mit dem Seil an der Glocke zieht und nicht an dem Dings! Ich habe es entdeckt! –
Wer weckt mich da? Ach, bist du es, Fuchs Rustikus? Was gibt’s, hast du mir ein bisschen toten Hund mitgebracht? –
Nein, etwas viel Wichtigeres als den toten Hund! Eine gute Nachricht: Mit dem Seil zieht man an der Glocke! –
Mit dem Seil zieht man an der Glocke? Und … und nicht an dem Dings? Wer hat dir das gesagt? Unmöglich! Mit dem Seil zieht man an dem Dings. –
Man zieht an der Glocke. –
Man zieht am Dings. –
Man zieht an der Glocke! –
Unmöglich! Ich bin mehr als sicher: Mit dem Seil zieht man an dem Dings das in der Glocke drin ist! –
Aber nein! Ich habe es mit eigenen Augen gesehen, ich schwöre es dir! Mit dem Seil zieht man an der Glocke und ich habe auch entdeckt, dass man neue Glocken konstruieren könnte, bei denen man mit dem Seil an dem Dings ziehen könnte und die Glocke könnte fest stehen, weil … weil der Name ‚Glocke‘ wirklich aus der Glocke herauskommt. Aber diese, die man jetzt benutzt, ich meine, die ‚Glocken‘… Jedenfalls: Mit dem Seil zieht man an der Glocke, nicht an dem Dings, dem pendelnden Pendel! Man könnte die Glocke auch zum Läuten bringen, indem man mit dem Seil am Dings zieht; aber heute, wirklich heutzutage, zieht das Seil an der Glocke. –
Was sagst du? – , rief Fuchs Silberfell während er wütend wurde, -Waaaas sagst du?
Du bist Fuchs Rustikus und kannst nicht lesen und du warst immer unter Hirten und Bauern! Was weißt du schon von Glocken und Tropfen im Meer und von Mond und Sternen? Du weißt nur etwas von Kartoffeln und toten Hunden. Ich, der ich unter Professoren geboren bin, die mehr wissen als alle anderen … Das Seil zieht an dem Dings! Und du Fuchs Rustikus, du weißt nichts von den Wissenschaften, also ordne dich unter. –
Fuchs Rustikus sah ihn an und begriff und errötete nicht und ging fort.
Und auch in der folgenden Nacht schlief Fuchs Rustikus die ganze Nacht nicht, in seiner Höhle. Er wusste, dass er ein Fuchs vom Lande war und er wusste auch dass er es wusste. Er dachte an das Seil, das Dings und die Glocke; und an das Wasser und das Eis und den Mond und die Sonne und die Sterne und … Und er schwor, wenigstens ein bisschen von all dem, was ihn umgab, zu lernen.
Er verließ die Höhle und begab sich auf die Feldwege, um sein Brot zu verdienen.
Ein Bauer sah ihn und bat ihn, ihm seine Hühner zu hüten. Der Tag ging zu Ende und es begann die Nacht und der Fuchs machte sich auf den Weg zu seiner Höhle, mit einem Apfel, einer Birne und vier Eiern, die in einen Küchenlappen eingewickelt waren, und während er einen dornigen Pfad entlang schnürte, hörte er leises Rufen: – Fuchs Rustikus, Fuchs Rustikus! Ich bin’s, Fuchs Silberfell! –
Oh, du bist’s? Was willst du, Fuchs Silberfell? –
Hast du den toten Hund geholt? –
Heute ist kein Hund gestorben. Ich habe vier Eier, die ein lebendes Huhn gelegt hat, einen Apfel, der unter der Erde geboren wurde und eine Birne, die ich aus dem Bauch eines Kürbisses entnommen habe. –
Und hör mal! Würdest du mir zwei Eier geben, die das lebende Huhn gelegt hat? –
Und hör mal du! Woran zieht man mit dem Seil zuerst: am Dings oder an der Glocke? –
An der Glocke! –
Nein! Heute habe ich erneut entdeckt, dass man mit dem Seil an dem Dings zieht, und nicht an der Glocke. Du hattest Recht. Und sage mir, warum ausgerechnet du, wo du all diese Dinge weißt, nicht fähig bist, dir Nahrung zu beschaffen? Und warum ich, der ich ein unwissender Landbewohner bin, dich aushalten sollte? Ich wollte von dir nur gute Worte und Freundschaft! Aber jetzt, wo ich entdeckt habe, dass du eingebildet bist und auf Kosten anderer leben willst, indem du vorgibst von allem mehr zu wissen als alle anderen, geh weg! Und behalte auch deine lieben, lieben Freunde für dich, diese falschen Professoren, die genauso wie du niemals etwas geben können. Geh weg, geh weg, und iss das Dings und die Glocke!